Bundesarbeitsgericht: Verfall von „gevesteten“ virtuellen Optionsrechten bei Eigenkündigung benachteiligt Arbeitnehmer unangemessen
Das Bundesarbeitsgericht bekräftigt mit seinem Urteil vom 19.3.2025 die Rechte von Arbeitnehmern nach der Eigenkündigung: Demnach stellen Verfallklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die den sofortigen Verfall virtueller Optionsrechte bei Eigenkündigung anordnen, eine unangemessene Benachteiligung der Arbeitnehmer dar (§ 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Ebenso liegt eine Benachteiligung vor, wenn die virtuellen Optionsrechte nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses doppelt so schnell verfallen, wie sie innerhalb der sog. Vesting-Periode entstanden sind. Rechtsanwalt Sascha C. Fürstenow beleuchtet in diesem Rechtsrat das BAG-Urteil und dessen Auswirkungen auf Arbeitsverträge „gevesteten“ virtuellen Optionsrechten.
Was sind überhaupt Virtuelle Mitarbeiterbeteiligungen?
Sinn und Zweck von virtuellen Anteilen ist es, die Betriebstreue der Arbeitnehmer zu honorieren und sie zu motivieren. Bei den virtuellen Anteilen handelt es sich nicht um eine reale Kapitalbeteiligung, sondern eine vertraglich zugesicherte Beteiligung, die keine echten Gesellschaftsanteile darstellen, aber wirtschaftlich wie solche behandelt werden. Der Unterschied zwischen den virtuellen und den echten Beteiligungen liegt darin, dass die rechtlichen Aspekte der Anteilseigner unterschiedlich sind. Echte Geschäftsanteile an einem Unternehmen führen dazu, dass die Anteilseigner alle Rechte haben, die einem Gesellschafter zustehen. Den Anteilseignern von virtuellen Anteilen stehen bspw. kein Informations- und Stimmrecht sowie kein Anspruch auf Dividenden, sondern nur auf vertraglich vereinbarte Gewinnausschüttungen bei einem Exit zu.
In der Praxis dürfen diese virtuellen Optionsrechte nur nach einer bestimmten Frist ausgeübt werden, das sich Vesting nennt. Die Optionsrechte werden während dieser Vesting-Periode stückweise übertragen bzw. ausübbar gemacht. Oftmals werden die Mitarbeiter, die vor Ablauf dieser Frist durch Eigenkündigung das Unternehmen verlassen, damit „bestraft“, dass sie all ihre Anteile verlieren, da die Betriebstreue nicht gegeben war und damit nur langfristig engagierte Mitarbeiter profitieren sollen. Was passiert aber mit den Optionsrechten, die während er Vesting-Periode erworben wurden, wenn eine Eigenkündigung erfolgt? Mit dieser Frage musste sich das BAG befassen.
Worum geht es in dem Urteil
In dem vorliegen Sachverhalt ging es sich um einen Mitarbeiter, der von April 2018 bis Ende August 2020 bei einem Unternehmen beschäftigt war und während seiner Beschäftigung virtuelle Optionsrechte erhielt. Diese virtuellen Optionsrechte aus dem „Employee Stock Option Plan“, kurz ESOP, werden erst nach der Vesting-Periode von bis zu vier Jahren gestaffelt ausübbar. Nach dem gegenständlichen ESOP verfallen bereits gevestete, aber noch nicht ausgeübte virtuelle Optionsrechte, wenn das Arbeitsverhältnis durch Eigenkündigung beendet wird oder verfallen innerhalb von zwei Jahren nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen. Im Zeitpunkt der Eigenkündigung waren rund 31 % der ihm zugeteilten Optionsrechte bereits „gevestet“, doch sein Arbeitgeber verwies auf den Verfall der Optionsrechte mit der Argumentation, dass es sich bei den Optionsrechten um eine Belohnung der Betriebstreue handele und kein Teil der Vergütung sei. Zudem war das Unternehmen der Auffassung, dass bei sonstiger Beendigung des Arbeitsverhältnisses alle bereits gevesteten Optionen doppelt so schnell verfallen, wie der Arbeitnehmer gebraucht hatte, sie anzusammeln.
BAG urteilt jedoch: Verfallklausel bei Eigenkündigung unwirksam und virtuelle Optionen sind Teil der Vergütung
Das BAG hat die automatische Verfallklausel im Rahmen einer Eigenkündigung für unwirksam erklärt, weil es sich dabei um eine Benachteiligung der Arbeitnehmer darstelle, erklärt Rechtsanwalt Fürstenow. Laut dem Gericht handelt es sich bei den Bestimmungen über die virtuellen Optionen um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die nicht der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB stand hielten. Die Verfallklausel erschwere zudem auch durch den Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Kündigungsrechts des Arbeitnehmers. Somit hat das Gericht auch seine frühere Rechtsprechung aus dem Jahr 2008 geändert (Az. 10 AZR 351/07), wonach der sofortige Verfall bereits gevesteter Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für zulässig erklärt worden ist.
Ebenso sind die virtuellen Optionsrechte nicht nur als eine Prämienzahlung für die Betriebstreue zu ersehen, sondern als ein Teil der Vergütung für die bereits erbrachte Arbeitsleistung.
Der sofortige Verfall der gevesteten Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses berücksichtigt die Interessen des Arbeitnehmers, der seine Arbeitsleistung bereits erbracht hat, nicht angemessen und stehe dem Rechtsgedanken des § 611 Abs. 2 BGB entgegen, wonach der Arbeitgeber zahlen muss, was an Vergütung vereinbart war. Der Anspruch auf Vergütungszahlung sei nicht davon abhängig, dass weitere Zwecke wie die andauernde Betriebszugehörigkeit erfüllt werden, so das Gericht. Das bedeutet jedoch nicht, dass gevesteste Optionsrechte grundsätzlich keinem Verfall unterliegen können. Sie dürfen aber nicht in einem deutlich kürzeren Zeitraum verfallen, als es ursprünglich vereinbart wurde.
Zuletzt sei auch die Klausel unwirksam, die besagt, dass gevestete Optionen doppelt so schnell verfallen, als sie erworben wurden, da sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt und die erbrachte Leistung in der Vesting-Periode nicht berücksichtigt.
Bedeutung für Arbeitnehmer und Mitarbeiter
Für Mitarbeiter stellt das Unternehmen eine erfreuliche Nachricht dar und bestärkt sie in ihren Rechten, insbesondere im Fall einer Eigenkündigung. Jedoch ist es hier auch empfehlenswert, die Vereinbarungen überprüfen zu lassen und zu kontrollieren, ob sie der neuen Rechtsprechung standhalten. Zudem sollte nicht vergessen werden, dass durch das Urteil kein allgemeines Verbot an den Verfall von Optionsrechten darstellt und jeder Fall einzeln überprüft werden muss.
Bedeutung für Unternehmen
Für Unternehmen ist es nun von großer Bedeutung, ihre Klauseln zu den Mitarbeiterbeteiligungen überprüfen zu lassen und an die neue Rechtsprechung anzupassen, rät Rechtsanwalt Fürstenow. Insbesondere sollte darauf Acht gegeben werden, die automatischen Verfallklauseln bei einer Eigenkündigung vor Ablauf der bestimmten Frist nicht pauschal in die AGB zu normieren. Daher sollten derartige Verträge und die entsprechenden Klauseln auf Transparenz und Korrektheit überprüft werden oder aber auch individuell ausgelegte „Verfallsmodelle“ vereinbart werden. So kann beispielsweise bestimmt werden, dass die Anteile nur stufenweise bei einer Eigenkündigung verfallen oder dass die Prämien deutlicher im Vertrag zu unterscheiden sind zwischen Prämien für die Betriebstreue, also virtuelle Anteile, und Erfolgsprämien. Für diese Vertragsgestaltung ist eine rechtliche Beratung unentbehrlich, um Streitigkeiten und Kosten zu vermeiden.
Der Rechtsrat wurde von der Mitarbeiterin der FÜRSTENOW Anwaltskanzlei, Frau Dastan, erstellt und von Rechtsanwalt Fürstenow fachlich geprüft und finalisiert.